„Plattenbusiness“ missionarisch
"Nebenan" ist eine "fresh expression of church" ("neue Ausdrucksform kirchlichen Lebens") in einem für den Osten Deutschlands typischen Plattenbaugebiet in Rotensee, einem Stadtteil von Bergen auf der Insel Rügen - ein entkirchlichter Ort mit sozialen Problemen und Spannungen. Hier wird Kirche mit den "nebenan" lebenden Menschen neu gedacht und gelebt.
2007 startete die Pommersche Evangelische Kirche gemeinsam mit der Evangelischen Kirchengemeinde Bergen auf Rügen und unter Begleitung des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) das Projekt nebenan, mit dem Menschen erreicht werden sollen, die von den "klassischen" Kirchgemeinden nicht erreicht werden. Dafür waren und sind nicht zuerst Gottesdienste, auch keine "ganz anderen", sondern vor allem Beziehungen entscheidend. So bedeutet Mission für nebenan Inkarnation, Menschwerdung, ein Sich-Hineinbegeben und Eintauchen in die "Plattenkultur". Daher ist dieser Dienst nur um den Preis zu haben, dass das Team wirklich mitten unter den Menschen in Rotensee lebt. G. Burkhard Wagner war seit 2008 bei „nebenan“ in Bergen auf Rügen tätig und von 2012-2015 Pfarrer. Cornelius Bach ist seit 2010 bei nebenan dabei und seit 2015 der Ansprechpartner.
Man kann sich nun fragen, wie man Menschen erreicht, die nie in eine Kirche kommen und bei Hausbesuchen reagieren würden wie bei unverhofften Besuchen einer bestimmten religiösen Gruppierung. Für nebenan war und ist die Antwort das, was sie „missionarisches Grüßen“ nennen. Denn wie heißt es doch? Am Anfang (des Kennenlernens) war das Wort: „Guten Tag!“ Oder, kontextualisiert: „Moin!“ Der Gruß auf der Straße ist so etwas wie ein missionarisches Prinzip geworden.
Es geht bei nebenan nicht primär darum, wie ich diesen oder jene „in die Kirche kriege“, sondern um die Frage: Wie können Menschen Christus begegnen? Jesus selbst zeigt hier die Richtung, wenn er zu seinen Jüngern sagt: „Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf“ (Joh 13,20). Wer uns hereinlässt, der lässt IHN herein: ein außerordentlich spannender Gedanke!
Neben den nur schwer sichtbar zu machenden Beziehungen findet sich natürlich auch "Sichtbares", allen voran eine alte Feuerwehr, ein Daimler-Benz, Baujahr 1975, die zum mobilen Treffpunkt umgebaut wurde. Jede Woche steht sie auf einem kleinen Platz inmitten von Rotensee, Kaffee wird angeboten - kostenlos. Regelmäßig kommen 15 bis 20 Leute. Einer von ihnen sagte einmal: „Was meinst du, warum ich immer zu euch komme? Weil ich mit euch reden will!“ Ein anderer sagte: „Ich hab niemanden, mit dem ich mal reden kann. Aber mit euch kann ich reden. Und ich überlege auch, ob ich wieder in die Kirche gehe. Ich brauche irgendwie einen Halt. Ich hab den Halt verloren.“ Die Feuerwehr ist auch Austragungsort der Kinderstunde einmal die Woche, zu der 15 bis 25 Kinder regelmäßig kommen. Es wird gespielt, gesungen, auch von Jesus erzählt. Ein Mädchen fragte: „Kommt Jesus heute wieder?“ Die anfangs noch skeptischen Eltern sitzen mittlerweile auch in der Feuerwehr und singen mit.
Menschen in Rotensee zu einem Gottesdienst einzuladen ist nach wie vor schwierig, trotzdem wird er beständig gefeiert: „Feierabend“ nennt er sich und ist so etwas wie eine „öffentliche Anreizung zum Glauben“. Freilich ist das kein Gottesdienst mit einer für kirchlich sozialisierte Menschen geläufigen Liturgie. Er findet alle zwei Monate an einem Freitagabend in einem DRK Pflegeheim statt. Zwischen 20 und 30 Leute finden den Weg dorthin. Meist keine, die sich von der Straße weg einladen ließen, sondern v.a. Freunde und Bekannte. Wenn im Sommer der Feierabend im Park stattfindet, ergibt sich ein anderes Bild: Ein Bastelstand für Kinder, ein buntes Zelt, der Duft von Grillwurst schaffen die Atmosphäre eines Sommerfestes mit etwa einhundert Leuten.
Das Anliegen von nebenan ist es Kirche bei den Menschen zu sein. Beginnend beim schlichten Da-Sein und Mit-Leben träumen sie von Kirche als einer Hauskirche (vgl. Apg 2,46–47). Und so ergibt sich ihre Vision (fast) wie von selbst:
"Menschen treffen sich hier und dort – nebenan – in den Plattenbauwohnungen. Jesus Christus ist die Mitte ihrer Gemeinschaft. Sie teilen ihr Leben und ermutigen sich gegenseitig in der Nachfolge Jesu. Sie sind gastfreundlich und bezeugen in ihrem Umfeld das Evangelium in Wort und Tat. Verschiedene Gruppen spiegeln die Vielfalt der Menschen aus Rotensee wieder und sind netzwerkartig verbunden. Sie kommen regelmäßig zu einem ‚Fest des Glaubens‘ zusammen.“
Dieses Projekt ist Teil des Fresh-X-Netzwerks für neue Ausdrucksformen von Kirche. Der vollständige Vorstellungsclip kann als Teil der Fresh X DVD oder einzeln erworben werden.